Offener Brief an alle im Bundestag vertretenen und zur Bundestagswahl 2025 antretenden Parteien: Wahlkampfthema Migrationspolitik, rassistische Rhetorik und der dehumanisierende Begriff „Remigration“
- by Black Feminist Power
#ihrhabtangefangen #EinTagOhneUns
Offener Brief an alle im Bundestag vertretenen und zur Bundestagswahl 2025 antretenden Parteien: Wahlkampfthema Migrationspolitik, rassistische Rhetorik und der dehumanisierende Begriff „Remigration“
03.Februar 2025
Sehr geehrte Mandatsträger*innen, sehr geehrte politische Parteien,
in Anbetracht der bevorstehenden Bundestagswahl möchten wir als Bürger*innen dieses Landes unsere Stimme erheben und auf die aktuelle, besorgniserregende Rhetorik zur Migrationspolitik hinweisen, die in den letzten Wochen zunehmend in den Wahlkampf einfließt. Gerade vor dem Hintergrund des furchtbaren Anschlags in Aschaffenburg, bei dem ein Kind und ein Mann getötet wurden, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir in dieser kollektiven Phase der politischen Auseinandersetzung im Ringen um die zukünftige politische Richtung als Bürger*innen dieses Landes eine respektvolle, sachliche und von Wertschätzung für alle Menschen getragene Diskussion über Migration von Ihnen erwarten können. Gerade in der letzten Woche wurde das Wahlkampfthema Migrationspolitik zunehmend instrumentalisiert und als zentrale Herausforderung unserer Gesellschaft dargestellt. Wir sehen uns daher als Bürger*innen dieses Landes in der Pflicht, auf die Gefahren der toxischen Debatten im Wahlkampf zum Thema Migrations- und Asylpolitik und deren Implikationen aufmerksam zu machen.
Migration ist ein komplexes und vielschichtiges Thema, das nicht auf einfache Stereotypen oder Ängste reduziert werden darf. Die Art und Weise, wie über Migrant*innen/BIPoC mit und ohne deutschen Pass gesprochen wird, hat nicht nur Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung, sondern auch auf das konkrete (Alltags-) Leben der Menschen, Kinder wie Erwachsene. Eine Rhetorik, die Angst schürt und Menschen in Schubladen steckt, ist nicht nur unethisch, sondern auch brandgefährlich. Wir beobachten seit Längerem eine Verschärfung der Rhetorik in der politischen Landschaft, in der rassistisch und rechtspopulistisch aufgeladene Thesen und Forderungen der AfD von fast allen demokratischen Parteien aufgegriffen wurden. So diente im Wahlkampfjahr 2024 das dehumanisierende Konzept „Remigration“ zunehmend als Plattform zur Entwicklung polarisierender und rassistischer Thesen, Behauptungen und Forderungen aller Parteien, welche mittlerweile einen prominenten Stellenwert im Bundestagswahlkampf 2025 eingenommen haben. Dabei war von Anfang an unumstritten, dass der Begriff „Remigration“ für die Möglichkeit der systematischen Abschiebung von Menschen steht, die aufgrund rassistischen oder diskriminierenden Narrativen als „nicht zugehörig“ oder „unwert“ klassifiziert werden, ungeachtet ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Verankerung und rechtlichen Stellung.
Nun beobachten wir eine ähnliche Zäsur. Der furchtbare Mordanschlag von Aschaffenburg, der so viele Menschen in unserem Land schockierte, verunsicherte und zu Recht wütend machte, wird zum Anlass genommen, mit rassistischer Rhetorik und rechtspopulistischen Forderungen im Bundeswahlkampf Stimmen einzufangen. Während dies in allen Parteien und bei vielen Kandidat*innen zu beobachten ist, haben Sie es jedoch bisher versäumt, mit uns, die potentiell von den Folgen dieser zunehmenden toxischen Darstellungen von Migrant*innen/ BIPOC mit und ohne deutschen Pass betroffen sind, in einen Austausch zu treten. Als Bürger*innen dieses Landes sprechen Sie uns nicht an. Statt konstruktive Lösungen zu entwickeln, schüren Sie Ängste und bedienen genau die populistischen und spaltenden Äußerungen, die die AfD und andere rechtspopulistische Strömungen in die politischen Debatten eingebracht haben.
Wir fordern Sie daher auf, in Ihren Wahlkampfreden und -programmen eine Sprache zu wählen, die auf Wertschätzung und Empathie aller in diesem Land lebenden Menschen basiert und die Rechte und Würde aller Mitglieder unserer Gesellschaft respektiert. Wir leben in einer Welt, in der Menschen aus unterschiedlichsten Gründen ihre Heimat verlassen – sei es aufgrund von Krieg, Verfolgung, wirtschaftlicher Not oder der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die Ursachen für Migration sind selten rein lokal, sondern vielmehr globaler Natur. Diese beinhalten ungleiche Produktions- und Handelsbedingungen sowie die Verantwortung für internationale Rüstungsexporte, die zahlreiche Konflikte, insbesondere im globalen Süden, befeuern. Es ist unsere Pflicht, diesen Zusammenhang anzuerkennen und im politischen Handeln zu berücksichtigen. Lassen Sie es nicht zu, dass Migrations- und Asylpolitik zum Spielball populistischer Rhetorik wird, sondern zu einem Thema, das von Menschlichkeit, Ausgewogenheit und Verantwortung geprägt ist.
Daher fordern wir Sie auf, Ihre Positionen zu überdenken und einen respektvollen Dialog über Migration und „Remigration“ zu führen. Treten Sie in einen Dialog mit uns und stellen Sie dar, wie etwaige seriöse und umsetzungsfähige Lösungen aussehen können. Wir gehen davon aus, dass Sie weder das Deportationsparadigma der AfD noch vorschnelle Vorschläge von 1000-Euro-Rückkehrprämien und Charterflügen, wie sie von Teilen der CDU bereits in die Debatte eingebracht wurden, zur Grundlage solcher gesellschaftlich demokratischen Umsetzungspläne machen wollen.
Konkret fordern wir alle zur Bundestagswahl angetretenen Parteien auf:
- Dialog mit den Betroffenen:
Bisher wird das Thema Migrations-, Asylpolitik und Remigration so besprochen, als wären wir, BIPoC/ Migrant*innen mit und ohne deutschen Pass kein Teil dieses Landes. Dies trifft vor allem auf populistische Forderungen zu und prägt polemische Debatten. Dabei haben Sie es versäumt, mit den potenziell Betroffenen – insbesondere den Communitys, die von den damit verbundenen rassistischen Zuschreibungen betroffen sind, in einen konstruktiven Dialog zu treten. Wir erwarten, dass dieser Dialog umgehend initiiert wird. - Ablehnung rassistischer Paradigmen:
Wir gehen davon aus, dass Sie weder die Narrative und Forderungen der AfD noch undifferenzierte Vorschläge wie Rückkehrprämien oder Sammelflüge zur Grundlage einer seriösen und menschenrechtskonformen Politik machen. Migration ist ein komplexes und vielschichtiges Phänomen, das nicht durch einfache, polarisierende Maßnahmen bewältigt werden kann. Distanzieren Sie sich offen und klar von diesen Thesen. - Explizierung & Klärung des Begriffs „Remigration“:
Wir fordern alle politischen Parteien auf, eine klare und transparente Definition des Begriffs „Remigration“ vorzulegen (oder eine Stellungnahme zu ihrer Ablehnung) und dessen politische sowie gesellschaftliche Zielsetzungen offenzulegen. Dies muss im Austausch mit denjenigen erfolgen, die von entsprechenden Konzepten direkt betroffen wären.
Wir hoffen, dass Sie diesen Appell ernst nehmen und sich für eine wertschätzende und respektvolle Diskussion einsetzen. Wir halten es für unerlässlich, dass diejenigen, die in Ihrer politischen Rhetorik und Ihren Konzepten angesprochen werden, in den politischen Diskurs eingebunden werden. Wir laden Sie daher zu einem offenen und konstruktiven Dialog ein, um gemeinsam tragfähige Lösungen zu erarbeiten, die den Prinzipien einer demokratischen und gerechten Gesellschaft entsprechen. Wir, die unterzeichnenden Organisationen, Vereine und Dachverbände, vertreten über 500.000 BIPoC/Migrant*innen mit und ohne deutschen Pass und verstehen uns als Bürger*innen dieses Landes, die sich eine wertschätzende, sachliche und zukunftsorientierte Diskussion wünschen.
Mit nachdrücklicher Erwartung,
Adefra e.V. (Schwarze Frauen* in Deutschland)
akoma
BKMO (Dachverband vertritt über 70 Mitgliedsorganisationen)
Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst) e.V. (Dachverband vertritt über 400 Mitgliedsorganisationen)
EOTO e.V.
IniRromnja
ISD Bund
IWS (International Women* Space)
Kaneza Foundation for Dialogue and Empowerment
Kelipen e.V.
Korea Verband
Migrationsrat Berlin e.V. (Dachverband vertritt über 90 Mitgliedsorganisationen)
Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (LAMSA) e.V.
PAWLO-Masoso e.V.
RomaniPhen e.V.
Rom*nja Theaterkollektiv Berlin
SVK - Selbstverteidigungskurs mit Worten [intergenerationelles Kollektiv von (jungen) Frauen* - Berlin]
(un)Sichtbar - BIPoC Initiative
zedela (Zentrum für Data-driven Empowerment, Leadership und Advocacy)
Zentralrat der Afrikanischen Gemeinde in Deutschland e.V.
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